Spanische Geschichten (Historias españolas)

Spanische Geschichten (Historias españolas)

Von Birgit Strasser-Huber

Carmen Selma

1980 in Spanien geboren, studierte die heute 33-jahrige Künstlerin an der Akademie der schonen Künste in Valencia Malerei. Carmen Selma ist seit mehreren Jahren nicht nur in spanischen Galerien vertreten, sondern auch im Ausland wie Österreich, Frankreich, Italien, Belgien und England.

Zentrale Themen ihrer Arbeiten sind die Familie, Kinder, die Spanierinnen in ihren Trachten, Volksfeste, der Stierkampf, Toreros, die Religion, Prozessionsbilder, die Politik. Auf den ersten Blick traditionelle Themen. Spanische Klischees ?

Doch wenn wir genauer hinsehen , so ! Osen die Bilder etwas Beunruhigendes in uns aus. Denn die Idylle trügt. An den Haltungen der portraitierten Personen, ihren aufgerissenen Augen, wird erahnbar, dass auf etwas an­ deres hingewiesen wird. Begeben wir uns auf die Suche danach wassich unter der Oberflache befindet.

Bines ihrer Bilder tragt den Tite!: Los efectos secundarios Die Nebenwirkungen. In einem Lehnstuhl, mit nur wenigen roten Strichen skizziert, sitzt frontal zum Betrachter eine Spanierin in traditioneller Kleidung. Ihre überkreuzten FüBe, die im SchoB liegenden gefalteten Hande und ihr ernster Blick erzeugen einen sehr fromrnen Eindruck. Ihre starren Augen lassen uns tief in ihre Seele blicken und die Spuren erkennen, die diktatorische Zeit zurück­ gelassen hat. Eben die Nebenwirkungen: Angst, Traurigkeit, Starre, Entsetzen.

Bei den Vorbereitungen zu meiner Eroffnungsrede wurde mir bewusst, dass die Auf­ arbeitungsarbeiten des Bürgerkrieges und des Franco-Regimes nur zaghaft voran­ schreiten. Nach dem Tod Francos im Jahr

1974 gelang der friedliche Übergang Spaniens zur Demokratie. Allerdings unter­ blieb fast 30 Jahre lang eine grundlegende Aufarbeitung dieser repressiven Zeit. Erst seit der Jahrtausendwende scheint diese in Bewegung zu kommen. Die Vereinten Nationen sprechen von , nur schüchternen Schritten« . Die Versuche, die Archive des Regimes zu offnen, sind nach wie vor mit groBen Widerstanden verbunden. Auf der Suche nach verschwundenen Personen wünschen sich Experten eine bessere Zu­ sammenarbeit mit der Kirche, um Einsicht in Kirchenbücher oder Genehmigungen für Grabuntersuchungen zu bekommen.

Ich fühle mich erinnert an die Aufarbeitung der NS Zeit in bsterreich , die ebenso erst 40

Jahre nach ihrem Ende einsetzte.

Carmen Selma bedient sich eines Archives, um ihrem Anliegen nach Aufarbeitung nachzukommen – namlich ihres person­ lichen Archives.

Sie schreibt… .. »ich begann, alte Familien­ fotos in schwarz-weiss, die mir als Vor­ Iagen dienen sollten, zu durchsuchen. Ich wollte auch diejenigen Erinnerungen wiederbringen , die ich nicht selbst erlebt hatte, sondern die den Personen gehoren, die es mir ermoglicht haben , heute hier zu sein. Spater erweiterte ich meine Suche auf die Fotografíen anderer Familien und die damit verbundenen mal angenehmen mal weniger angenehmen Geschichten. Eines war jedoch allen gemein: Diese Fotografíen zeigten mir freimütig die Geschichte jeder Familie, jedoch auch die Vergangenheit dieses zuerst von einem Bürgerkrieg und spater durch eine militarisch-klerikale Diktatur über fast 40 Jahre hinweg geschundenen Laudes.“ Weiters schreibt sie: „Ich fokussiere mich darauf, den menschlichen Ausdruck zu malen, der die Emotionen der repressiven Periode reflektiert. »

Carmen Selmas Anliegen ist also die Aufarbeitung der Vergangenheit, der kritische Blick auf die Traditionen und Riten Spaniens. Dafür wahlt sie die realistische, figurative Malerei – eine angemessene Bildsprache, um Menschen in ihrer Absicht als Künstlerin zu erreichen. Ihr expressiver Ausdruck und das Sichtbarmachen der Schrecken einer Zeit – dafür kann man Francisco Goya als Vorlaufer ansehen. Als ihre Lieblingsmaler nennt sie Otto Dix, die deutschen Expressionisten und Schiele. Ihre bevorzugten Techniken sind 01 auf Lein­

wand, die Collage, Kreide und Aquarell.

So wie Carmen Selmas Themenwahl, wirkt auch ihre Malweise traditionell. Doch wenn roan das Formale naher betrachtet wird sichtbar, dass die Künstlerin die zeitgenossische Bildsprache aufgenommen hat. Elemente wie die unterschiedliche Dichte in der Ausführung, die hinunterrinnende Farbe über eine nackte Leinwand und das Ein­ fügen von Texten sind Phanomene der Moderne und finden sich auch in der Arbeit von zeitgenossischen Malerinnen wie Elke Krystufek. Diese Elemente storen die vollkommene Illusion – den Ausblick durch ein Fenster · den die klassische Malerei vorzugeben versuchte. Hier wird dem Betrachter die Herstellung des Bildes bewusst gemacht. Dei Arbeitsprozess des Künstlers bleibt ein sichtbarer.

Hatte die realistische Malerei einige Zeit nach dem 2. Weltkrieg an Bedeutung verloren, so wurden in den 70er Jahren mit dem amerikanischen Fotorealismus diese Tendenzen wieder aufgenommen.

Lucían Freud, einer der bedeutendsten figurativen Maler des 20. Jahrhunderts, hielt ab den 50er Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 2011 konsequent an dieser Ausdrucks moglichkeit fest. Auch für ihn war es stets die realistische, figurative, expressive Aus drucksmoglichkeit, um an das Seelenhafte des Menschen zu kommen, sich den inneren Wahrheiten zu nahern. Diese Haltung verbindet Carmen Selma rnit Lucian Freud.

Der Beginn die Dinge zu benennen wie sie sind erfordert Mut.

Sie ansehen und verstehen wollen, sie betrauern und die Kraft daraus gewinnen, f ür die Zukunft etwas zu verandern das macht sie als Künstlerin für uns bedeutend.

15. Nov. 6. Feber 2014

im spanischen Kulturinstitut in Wien

1 O1O Wien, Schwarzenbergplatz 2

 

Die Nebenwirkungen

Öl auf Leinwand, 195 x 97 cm, 2012